Deutsch für Fortgeschrittene, Weggelaufene und Dagebliebene (4)

Eine der dummdreistesten Werbekampagnen will glauben machen , Geiz sei geil. Das verdient nähere Betrachtung.

Zunächst einmal Geiz in Reinform: Nichts wird weggegeben, alles, was nicht zum eigenen Überleben dringend notwendig ist, wird zusammengerafft und festgehalten.
Geil ist heute fast zum Synonym für gut und schön geworden. Gärtner wissen noch um die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, sie kennen bei Pflanzen die entzückende Formulierung geile Triebe (die es, hélas, zurückzuschneiden gilt). Geil ist, was und wer fröhlich bereit ist, sich voll und ganz zu verschenken!
Geiz kann also gar nicht geil sein. Geiz ist die ungeilste aller Todsünden. Geiz macht verkniffen, häßlich und dürr. Ein Geizhals in hüftbetonter Eleganz und mit samtweicher parfümduftender Haut ist gar nicht vorstellbar.

Der Ursprung besagter Werbekampagne ist aber nicht nur falsch, er ist grundböse und verdient eine nähere Betrachtung, damit man fürder so Beworbenes umso lieber meidet.

Die Werbung zeigt Schottenkaro und Kunstwörter, die mit Mac beginnen – und schon wissen wir, gemeint ist “billig”. Weil ja Schotten geizig sind. Das geht bis hin zum Namen einer Ramschfirma, der mit Mac beginnt und mit einer Todsünde aufhört!
Wenn man im Netz sucht, woher die Annahme kommt, Schotten seien geiziger als andere Leute, findet man zahlreiche allgemeingültige Aussagen über boshafte Vorurteile und einige Erklärungsversuche mit der Rezeption von Armut. Aber es ist noch viel gemeiner.

Als sich für das reiche England und auch einige reichgewordene schottische Landlords abzeichnete, daß Schafwolle auf die Dauer mehr einbrachte als die traditionellen Pachthöfe, wurden die schottischen Pachtbauern enteignet und vertrieben. Diese Maßnahme zog sich über etwa hundert Jahre hin. Enteignete und vertriebene Pachtbauern und ihre Familien hungerten und mußten mit allem knausern, um eine kleine Überlebenschance zu haben. Das fanden zahlreiche Gutsherren umwerfend komisch.

Einem Hungernden, der nichts mehr abzugeben hat, Geiz vorzuwerfen, ist eine Frechheit sondergleichen. Arme Bauern noch ärmer machen, um selbst reicher zu werden, ist wüsteste Raffgier. Das mag bedenken, wer Menschen drangsaliert, um sich die Taschen zu füllen.

Eine Todsünde zu gutem und klugem Handeln erklären, fast schon zur Tugend, ist häßlichste Verlogenheit und passt genau zu der Geschichtsklitterei, die den Schotten bis heute einen üblen Ruf verschafft. Daran sollte man denken, wenn Ramschläden mit schalem Schenkelklopferhumor werben.

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7 Antworten auf Deutsch für Fortgeschrittene, Weggelaufene und Dagebliebene (4)

  1. Sylvia sagt:

    Verbreitungswürdiger Beitrag. Gefällt mir sehr ! Danke, Claudia.

  2. indivisuell sagt:

    Dem kann ich mich nur anschliessen. Danke für die sprachliche und geschichtliche Forschungsarbeit!

  3. Sylvia sagt:

    Mir ist grad der Ehrgeiz dazu eingefallen.

    Wiki schreibt: Unter Ehrgeiz versteht man die Gier einer Person nach Ehre, oft verbunden mit dem Streben nach Macht und Ruhm. Wer ehrgeizig ist, ist eifrig bestrebt, andere zu übertreffen.

    Meine Aufmerksamkeit bleibt hier beim Wort *übertreffen* hängen. Wenn ich etwas übertreffe, dann habe ich es nicht getroffen. Selbsterklärend dann, wenn einer zu dir sagt: ” Na, da hast du dich aber selbst übertroffen.”

    Wer ehrgeizig ist, ist eifrig bestrebt, andere zu treffen i.S.v. sie außer Gefecht zu setzen. Das trifft es für mich eher zu.

    Aber vielleicht weiß Claudia hier weiter und ich bin gespannt, ob sie mich trifft oder übertrifft :grin:

    • Auch wenn ich mich von Ehrgeiz nicht freisprechen kann, gebe ich Dir Recht; im ursprünglichen Wortsinn ist das wohl noch eher eine Ehrsucht, Ehrgier… “Ich wills haben und der andere soll nicht so viel davon haben”. Allerdings hat sich das Wort Ehrgeiz in der Bedeutung so gewandelt, daß es jetzt fast nur noch ein mehr oder weniger gesundes Streben nach Erfolg meint und noch nicht das suchthafte Moment impliziert.
      Trotzdem bleibt da so ein Gschmäckle, zumal ja auch Ehre kein ganz unproblematischer Begriff ist (dazu vielleicht später mal).

      • Sylvia sagt:

        Ja, der Ehrgeiz, der auf Kosten anderer geht, der ist bedenklich.
        Die ewigen Vergleiche *besser als die anderen* sind kräfteraubend und es macht einen nicht stabiler, wenn man die anderen als Bezugsebene nimmt. Das erzeugt eine unangenehme Abhängigkeit und Unruhe. Es bringt einen von sich selbst weg.

        Der andere Ehrgeiz, in dem ich mich selbst zu Höchstleistungen ansporne, also nur für mich, der ist durchaus in Ordnung. Muß aber auch nicht sein, wenn man sich im “durchschnittlich sein” wohl fühlt z.B..

        Also, mein Ehrgeiz hält sich insgesamt eher in Grenzen, mit Spitzen in der Gartengestaltung, da kippe ich auch gerne mal ins Extreme.

        “Besser als die anderen” schafft so eine eigenartige Distanz, und bin ich halt von der Persönlichkeit her so gestrickt, dass ich allen gerne in Augenhöhe begegne. Ich mag Hierarchien nicht leiden. Ist eine Stilfrage.

  4. Claudia sagt:

    Das “verbreitungswürdig” hab ich mir jetzt zu Herzen genommen und den Artikel auch auf meinem Blog gebracht. :mrgreen:

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