Deutsch für Fortgeschrittene, Weggelaufene und Dagebliebene (3)

Man kann im Deutschen mit unvergleichlicher Virtuosität Wörter zusammensetzen. Das langt vom einfachen und allgemeinverständlichen Butterbrot, das in Butterbrotpapier gewickelt wird, das man von einer Butterbrotpapierrolle reißt, über kompliziertere Dinge wie Kommunikationswissenschaft und Relativitätstheorie und gesellschaftliche Phänomene wie Weihnachtskonsumterror und Massenarbeitslosigkeitsbekämpfungsmaßnahmen bis hin zu metaphysisch anmutenden Begriffen wie Vorläufigkeitsvermerk oder Restmüllbehältervolumenerhöhung.

Grundsätzlich gilt: das letzte Wort einer so zusammengebastelten Reihe bestimmt das Geschlecht des Gesamtwortes und sagt, worum es geht. Je weiter man in der Wortreihe nach vorne geht, desto genauer wird spezifiziert.
Eine Restmüllbehältervolumenerhöhung ist also zunächst eine Erhöhung (und damit ein Femininum, anders als das Volumen, der Behälter, der Müll, der Rest).
Erhöht wird das Volumen.
Das Volumen des Behälters.
Der Behälter für den Müll.
Der Müll, der den Rest bildet, wenn man alles Recyclebare schon anderswohin geworfen hat.

Wir gehen also in der deutschen Sprache vom Besonderen zum Allgemeinen, wenn wir Wörter zusammensetzen.

Dabei gibt es keine feste Regel, auf welche Weise ein Wortteil den anderen beschreibt. So ist ein Jägerschnitzel ein Schnitzel in der Zubereitungsweise, die man mit den kulinarischen Gepflogenheiten von Jägern assoziiert. Hingegen hat das Schweineschnitzel seinen Namen nicht von den kulinarischen Gepflogenheiten der Schweine, sondern vom Material. Das ist allgemeiner Konsens, und ich kann und muß mich darauf verlassen, daß, wenn ich ein Jägerschnitzel bestelle, hierfür kein Jäger sein Leben lassen muß, daß umgekehrt ein Schweineschnitzel in einer menschlichem Geschmack zuträglichen Art zubereitet wird.

Eine Halswehtablette ist gegen Halsweh, ein Kinderbuch für Kinder, und niemand käme darauf, es anders zu verstehen – weil niemand annimmt, Tabletten, die keine andere Wirkung haben als Halsweh zu verursachen, seien im Handel, oder Bücher könnten gelesen werden mit dem einzigen Sinn, Kinder abzuschaffen.

Nun ist durch die Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung das Wort Dönermorde (üblicherweise im Plural) aufgekommen. Hier liegt trotz der obengenannten Mannigfaltigkeit der Wortkopplungen ein sprachlogischer Fehler vor.
Ein Dönermord läge vor, wenn entweder das Asservat oder das Motiv oder der Täter oder das Opfer ein Döner wäre.

Wurden die Opfer mit Döner erschlagen oder erstickt, mit vergiftetem Döner zu Tode gebracht, mit Dönerspießen erstochen? Nein.
Steht das Motiv der Morde mit Döner in unmittelbarem Zusammenhang, ging es um Zubereitung, Preis, Herkunft, Bekömmlichkeit speziell von Döner? Nein.
Waren die Täter Dönerproduzenten oder hatten sie irgendwelche Ähnlichkeit mit Döner? Nein. (Außer vielleicht intellektuell, aber das kann hier nicht zählen, denn dann könnte man ebensogut Stullenmord sagen.)
Hatten die Opfer vor oder nach der Untat irgendeine wie auch immer geartete Ähnlichkeit mit Döner? Nein.

Fazit: Dönermorde ist eine unsinnige und irreführende Wortbildung. Es sind ganz einfach Morde, unzusammengesetzt, unverniedlicht, simpel und schäbig, wie Morde eben so sind.

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7 Antworten auf Deutsch für Fortgeschrittene, Weggelaufene und Dagebliebene (3)

  1. Claudia sagt:

    Übrigens: Wenn eine Behörde Restmüllbehältervolumenerhöhung fordert, dann will sie einfach größere Mülleimer. Das heißt bei denen wirklich so.

  2. theomix sagt:

    Dönermord ist also Sprachmord.

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